Darf unsere Wirtschaft noch wachsen? | Wolfgang Uchatius‘ nachdenkliche Analyse in der „ZEIT online“

Nein! sagt Wolfgang Uchatius.

Und ich bin im dankbar dafür. Es gibt einen guten italienischen Erziehungsratgeber, dessen Titel lautet: Il no che aiuta a crescere – Das Nein, das dabei hilft, zu wachsen.

So ein Nein höre ich aus den Zeilen von Wolfgang Uchatius heraus. Es ist nicht die Sack- und Asche-Predigt, die Uchatius da herunterleiert, auch wenn seinem Text durchaus etwas mehr Zuversicht gut anstünde, denn wenn wir nicht mehr die schiere Erweiterung unseres materiellen und finanziellen Besitzstandes und die niederschwellige Erreichbarkeit von Diensten und Destinationen in den Vordergrund stellen, werden wir uns auf die Suche nach der Qualität in den Dingen und vor allem in unseren Beziehungsgeflechten machen – und wir werden sie finden.

In einem Punkt bin ich mit Uchatius nicht einverstanden: Wir müssen nicht jede Menge neuen Stahl aufwenden, um die Anlagen für die Herstellung erneuerbarer Energieträger herzustellen. Wenn wir nur zehn Prozent der jährlich weltweit gebauten und verkauften Autos weniger bauen, haben wir ausreichend Ressourcen für Windmühlen, Gezeitenkraftwerke, Meeresströmungsgeneratoren, Solarzellen und alles, was das grüne Herz begehrt. 70 Millionen Autos: das heißt 200-300 Millionen Tonnen Stahl, jede Menge Kupfer, Glas, Kunststoffe und andere hochwertige Materialien, die auch in anderen, weit nützlicheren Technologie-Anwendungen als es Autos sind, Verwendung finden könnten
(Joachim Spangenberg, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Köln: Eine Tonne Auto benötigt zehn Tonnen Materie).

Aber, lesen Sie selbst, wie Wolfgang Uchatius sein Nein! begründet.

Übrigens: Ich habe schon mal einen anderen Text von Uchatius als wegweisend empfunden: Wir könnten auch anders! in „Die Zeit“ Nr. 22/2009. Absolut lesenswert!

===========================================================
(Wolfgang Uchatius, aus „ZEIT online“, erschienen am 4. April 2011)

Es ist noch nicht lange her, da glaubten die Menschen an Gletscher, die nicht schmelzen, und Meere, die nicht steigen. Sie dachten, die Welt würde die alte bleiben, trotz all der neuen Autos und Flugzeuge, Kühlschränke und Computer. Sie hofften auf die gute Kraft des Wirtschaftswachstums und träumten von Reichtum ohne Reue. Die Hoffnung starb, als auch der letzte seriöse Wissenschaftler feststellte, dass die Erde sich erwärmt.

Seitdem hat die Menschheit einen neuen Traum. Wieder geht es um Autos und Computer. Das Ziel ist dasselbe, nur der Weg ist ein anderer. Nicht mehr Kohle und Öl sollen die Wirtschaft antreiben, sondern Sonne, Wind und Biomasse. Dann, so die neue Hoffnung, wird der Reichtum der Menschen den Reichtum der Natur nicht länger schmälern. Im Gegenteil, nur mit Geld lassen sich Solaranlagen kaufen.

Es ist ein schöner Traum, ein kindlicher fast, weil es in ihm keine Verlierer gibt und keine Konflikte. In diesem Traum hängt der Himmel voller Flugzeuge, und trotzdem laufen glückliche Eisbären über weiße Schollen.

Wenig spricht dafür, dass der Traum jemals Wirklichkeit wird.

Um das zu verstehen, muss man mit einer Zahl beginnen, die zur Hoffnung verleitet: 13 Prozent. So hoch liegt nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) inzwischen der Anteil von Sonne, Wind und Biomasse an der weltweiten Energieerzeugung. Das reicht nicht, um die weltweiten CO2-Emissionen zu senken, aber man könnte es für einen Anfang halten, ein erstes Ergebnis von Umdenken und Umweltgesetzen.

Sieht man sich allerdings genauer an, wie diese Zahl zustande kommt, stellt man fest, dass sie wenig mit Solaranlagen und Windkraftwerken zu tun hat. Der erfolgreichste erneuerbare Energieerzeuger ist eine Kraftquelle, die in der umweltpolitischen Diskussion hierzulande eine eher untergeordnete Rolle spielt: Kuhfladen.

Afrikanische Kleinbauern und asiatische Tagelöhner heizen damit ihre Öfen, seit Jahrhunderten schon. Im weltweiten Maßstab sind sie die Einzigen, die im großen Stil erneuerbare Energien nutzen. Noch. Denn es sind Menschen, die umgerechnet nicht mehr als ein oder zwei Euro am Tag verdienen. Sollten auch sie irgendwann vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren, was nur zu wünschen wäre, werden sie sich kaum eine Solaranlage kaufen. Eher rauchende Kohleöfen und stinkende Mopeds. Die CO2-Emissionen werden dann weiter steigen.

Der Anteil der modernen Sonnen- und Windanlagen an der weltweiten Energieerzeugung dagegen liegt heute bei 0,2 Prozent. Das also haben die Industrieländer erreicht, knapp dreißig Jahre, nachdem der Club of Rome seinen Bericht Die Grenzen des Wachstums veröffentlichte.

Nun kann man einwenden, dass dies nicht so bleiben muss. Vielleicht leitet die Katastrophe von Fukushima die große Wende ein. Vielleicht beschließen die Industrienationen nun, nicht nur aus der Atomenergie auszusteigen, sondern auch aus der Kohle, dem Gas, dem Öl. Vielleicht führt bald die ganze Welt die Ökosteuer ein, subventioniert Solaranlagen und investiert in Windparks. Müsste es dann in ein paar Jahrzehnten nicht möglich sein, ganz von den Erneuerbaren zu leben?

Nicht, wenn die Weltwirtschaft so weiterwächst. Geniale Techniker mögen irgendwann Waschmaschinen erfinden, die nicht mehr Strom verbrauchen als ein Reiseföhn. Damit die deutschen Unternehmen aber wachsen können, nicht nur heute, auch morgen und übermorgen, müssen sie nicht nur jedem Deutschen eine solche Maschine verkaufen, sondern auch jedem Chinesen, jedem Inder und am Ende auch den kenianischen Kleinbauern und bangladeschischen Tagelöhnern, die ihre Wäsche heute stromfrei mit der Hand waschen. Der Energiehunger würde zunehmen, trotz aller Ingenieurkunst. Nach Einschätzung der IEA wird die Welt im Jahr 2030 doppelt so viel Strom verbrauchen wie heute.

Womöglich könnten Solaranlagen und Windräder allein tatsächlich den Strombedarf der Zukunft decken. Womöglich ließe sich wirklich aus Raps, Mais oder Zuckerrohr der Treibstoff herstellen, um die Schiffe und Flugzeuge der Welt anzutreiben.

Bald aber würde sich zeigen, dass die erneuerbaren Energien so erneuerbar nicht sind.

Nach Berechnung des amerikanischen Publizisten Richard Heinberg müsste man in den USA von nun an jedes Jahr 20.000 Windanlagen bauen, um im Jahr 2030 lediglich 20 Prozent des amerikanischen Stroms aus der Windkraft zu beziehen. Für den Bau jedes einzelnen Windrads aber braucht man mehrere Tausend Tonnen Stahl – und eine Menge Kohle, um die Hochöfen zu heizen, in denen das Metall verarbeitet wird.

Solaranlagen wiederum benötigen Kupfer. Um in zwanzig Jahren die ganze Welt mit Sonnenstrom zu versorgen, müsste man wohl mehr als hundert Millionen Tonnen davon aus der Erde holen. Nicht ganz einfach. Derzeit liegt die jährliche Kupferproduktion weltweit bei lediglich 15 Millionen Tonnen.

Für Biotreibstoff aus Mais oder Zuckerrohr schließlich braucht man Felder, viele Felder. Entweder muss das Brot dann künftig aus Chemiefabriken kommen, oder man muss noch ein paar Regenwälder roden, falls es dann noch welche gibt.

Natürlich sind Sonne, Wind und Biomasse besser als Kohle, Öl und Gas. Sie mildern den Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt. Beilegen können sie ihn nicht. Eine immer weiter wachsende Wirtschaft wird am Ende stets eine schrumpfende Natur bedeuten.

Den Tagelöhnern und Kleinbauern des Südens den Wohlstand zu verbieten, den Wirtschaftswachstum erzeugt, wäre unmenschlich. Dort aber, wo inzwischen fast jeder Haushalt nicht nur Auto und Waschmaschine besitzt, sondern auch Laptop und iPhone, dort, wo die Menschen ihre Wäsche nicht nur mit Maschinen waschen, sondern auch trocknen, und zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen, überall dort darf man eine einfache Frage stellen: Ist es nicht langsam genug?

2 Kommentare zu „Darf unsere Wirtschaft noch wachsen? | Wolfgang Uchatius‘ nachdenkliche Analyse in der „ZEIT online“

  1. Der Übergang zu den erneuerbaren Energien ist leider nur in entwickelten Ländern möglich und benötigt sowieso viel Zeit, Geld und Arbeit. Und dies können sich nicht alle Staaten erlauben. Außerdem werden Menschen auf den Komfort, den i-Phones, Waschmaschinen, Mikrowellen und ganz viele andere Sachen bereiten, nicht verzichten. Mindestens soll es eine würdige Alternative geben. Aber von der anderen Seite ist alles möglich. Wahrscheinlich in der weiten Zukunft werden unsere Nachfahren in der naturfreundlichen Gesellschaft leben.

Hinterlasse einen Kommentar