Auf Einladung der Umweltschutzgruppe Vinschgau kam am 30. Oktober Prof. Christian Kreiß nach Schlanders, um über „Gekaufte Forschung“ zu sprechen. Der Professor für Finanzwirtschaft und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Aalen hat sich als kritischer Autor schon mit verschiedenen Grenzgebieten und fragwürdigen Entwicklungen unseres Wirtschaftssystems auseinandergesetzt.
Neben dem interessanten Buch „Gekaufte Forschung“ sind im Europa Verlag Berlin auch die Bücher „Geplanter Verschleiß“ und „Werbung – nein danke“ erschienen.
Beim Abend in Schlanders stand die Beherrschung der Forschung durch die Industrie und die Beeinflussung von Zulassungsverfahren durch Konzerne im Mittelpunkt. Nach einer Begrüßung und Vorstellung des Gastes durch Eva Prantl, Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau, begann Prof. Kreiß mit seinen Ausführungen.


Die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau, Eva Prantl, begrüßte Prof. Kreiß und das Publikum und stellte den Gast vor (Fotos: Rudi Mauer)
Und es kam knüppeldick. Eindrücklich und ohne Schonung nannte Prof. Kreiß die Missstände beim Namen und stieg mit den Interventionen der Tabakindustrie ein, die jedes Mittel nutzte, um die Debatte über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Rauchens zuerst zu unterdrücken und dann zu beeinflussen.
Im Pharma-Bereich – so Prof. Kreiß – kommen rund 90% der für die Zulassungen relevanten Studien direkt von den Konzernen. Darüber hinaus gibt es Schätzungen, dass ein erheblicher Teil der als unabhängig geltenden Studien von Konzern-Ghostwritern verfasst werden.

Besonders interessant waren die Ausführungen zum so genannten „Setting“ von wissenschaftlichen Studien. Der Aalener Professor zeigte auf, mit welchen Kniffen und Kunstgriffen bei der Festlegung der Forschungsgegenstände und -details, der Auswahl von Probanden und deren Selektierung bei laufenden Studien und vor allem bei der bewussten Ausklammerung verschiedener Faktoren auf einen herstellerfreundlichen Ausgang der Untersuchungen hingearbeitet werden kann. Als besonders krasse Erkenntnis führte Christian Kreiß die „Studie“ von zwei Journalisten ins Feld, die nachweisen konnten, dass es mit wissenschaftlicher Methodik möglich ist, über Fake-Studien zur Erkenntnis zu kommen, der Verzehr von Schokolade mache schlank („Schlank durch Schokolade“ kann man auf stern online nachlesen).
Unverschämte und verbrecherische Vorgangsweise
Immer wieder garnierte Kreiß seine Aussagen mit konkreten Vorfällen aus der Alltagspraxis und sorgte damit für Verblüffung, weil klar wurde, wie unverschämt und geradezu verbrecherisch Konzerne vorgehen, wenn interne Erkenntnisse ihre Produkte als wirkungslos oder gar gefährlich darstellen und diese Erkenntnisse so lange als irgendwie möglich unter Verschluss gehalten werden.
Diese Ausgangslage führt dazu, dass heute fast ausschließlich über Gebiete geforscht wird, die für die damit befassten Unternehmen Profite versprechen. Andere Forschungsgegenstände, die zwar weniger Profit für die Konzerne aber wesentliche Fortschritte für die Menschheit mit sich bringen könnten, bleiben unbeachtet.
Die Probe aufs Exempel: Die aktuelle Debatte um Glyphosat
Besonders evident werden die Konzerninteressen und deren auffällige Akzeptanz und Förderung durch die Politik im Falle des zurzeit stark diskutierten Totalherbizids Glyphosat, dessen Zulassungsverlängerung gerade im EU-Parlament debattiert wird. Prof. Kreiß zeigte die Mechanismen auf, mit denen auch mithilfe von EU-Behörden versucht wurde, die Erkenntnisse der IARC zu unterlaufen. Die IARC ist eine offizielle Unterorganisation der Weltgesundheitsorganisation WHO und gilt als unabhängig. Sie hat Glyphosat als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Diese Einstufung wurde daraufhin von Behörden und Gremien in Frage gestellt, deren Entscheidungsinstanzen nachweislich mehrheitlich von industrienahen Personen besetzt sind.
Prof. Kreiß ging aus aktuellem Anlass auch auf die so genannte Wegher-Studie ein, mit der die Südtiroler Landesregierung den Nachweis erbringen wollte, dass es keinen Zusammenhang zwischen Krebsaufkommen und der Ausbringung von Pestiziden gibt, und schloss sich der Kritik der Onkologin Patrizia Gentilini an. Diese hatte methodische Mängel kritisiert und die Aussagekraft der Studie in Frage gestellt.
Wer entscheidet über Impfungen? Die STIKO …
Ausführlich ging Prof. Kreiß auf die geschäftsfördernden Methoden der Konzerne in Sachen Impfungen ein und kritisierte den Umstand, dass die beim Robert Koch Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) zum Großteil aus industrienahen Fachpersonen besteht, die nach Ansicht von Kreiß keine Gewähr für unabhängige Entscheidungen bieten. Gerade beim Thema Impfen stellt sich laut Prof. Kreiß heraus, dass fatal sei, worüber nicht geforscht werden, z.B. zu den positiven Auswirkungen überstandener Kinderkrankheiten.
Die Fundamentalkritik an unserer Wirtschaftsweise und an deren Rahmenbedingungen wird nicht zuletzt auch von Papst Franziskus immer wieder vorgebracht, auf dessen Enzyklika Laudato si‘ Prof. Kreiß gegen Ende seiner Ausführungen einging. Wörtlich steht dort zu lesen: „Es gibt Formen der Umweltverschmutzung, durch die die Menschen täglich geschädigt werden. … Dazu kommt die Verschmutzung, die alle schädigt, … aufgrund von Düngemitteln, Insektiziden, Fungiziden, Herbiziden und Agrotoxiden allgemein.“ Ist diese Botschaft in Südtirol angekommen, im Land, das so stolz ist auf seine christlichen Wurzeln?
Insektenschwund: gewollt, versprochen, eingetreten
Das Stichwort für die nächsten Ausführungen lag im Raum: Insektensterben, Vogelschwund, Verlust an Biodiversität sind alles ausdrücklich gewollte und versprochene Folgen der industrialisierten Landwirtschaft. Man kann nicht Pestizide ausbringen und sich dann wundern, wenn die Insekten weniger werden – das ist ein absurdes Paradoxon unserer „modernen“ Welt.
Durch die industrialisierte Landwirtschaft, die vor allem Konzernen Traumprofite bringt, führte Prof. Kreiß aus, entstehen hohe Kosten für Umwelt und Gesellschaft, die aber nicht auf die Produktpreise umgewälzt sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Diejenigen, die ökologisch arbeiten und diese Folgekosten vermeiden, müssen damit leben, dass ihre Produkte teurer sind. Ein weiteres absurdes Paradoxon das aber offenkundig selbst von intelligenten Menschen nicht als solches erkannt wird.
Es mutet in diesem Zusammenhang schon fast unheimlich an, was Goethe Mephisto in „Faust“ sagen lässt. Eine Formulierung von seherischer Kraft, die die Ausführungen von Prof. Kreiß in gewisser Weise krönten: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, // Des Menschen allerhöchste Kraft, // Laß nur in Blend- und Zauberwerken // Dich von dem Lügengeist bestärken, // So hab ich dich schon unbedingt!“
Ist es schon soweit? Hat ER uns schon? ER, „Ein Theil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“? Das Gute, so Prof. Kreiß abschließend, ist möglich, aber es bedarf jetzt unseres Handelns und das sowohl gemeinsam als auch individuell.
Was können wir tun?
Gemeinsam sollten wir Aufklärung betreiben und uns auf die Suche nach der Wahrheit machen. Wir sollten durchsetzen, dass bei Zulassungsverfahren keine unternehmensinternen Studien mehr akzeptiert werden. Umstrittene Pestizide und Wirkstoffen müssen sofort verboten werden, das in Europa geltende Vorsorgeprinzip muss Vorrang vor Konzerninteressen haben. Weiters, so fordert Prof. Kreiß, müssen die externen Kosten des Chemie-Einsatzes in der Landwirtschaft auf die Preise der Produkte umgewälzt werden, was die Konkurrenzfähigkeit für Bio-Produkte schlagartig verbessern würde. Die Subventionen in der Landwirtschaft sollen stärker an die Produktionsweise gekoppelt und für nicht nachhaltig und umweltschonend produzierende Unternehmen stark reduziert, bzw. gestrichen werden.
Allgemein muss die Wirtschaft wieder mehr auf die Bedürfnisse der Menschen und der Natur ausgerichtet werden. Dies könne nur gelingen, wenn wir uns wieder mehr der Verantwortung für die Schöpfung bewusst werden.

Nach dem spannenden Vortrag kam es zu einem nicht minder spannenden Gespräch mit dem zahlreich erschienen Publikum (Foto: Katharina Hohenstein)
Im anschließenden Gespräch am Podium, das ich mit Prof. Kreiß führen durfte, gingen wir noch auf bizarre Verträge zwischen Sponsoren aus der Wirtschaft und Universitäten ein. Ein besonders krasser Fall ist die Einrichtung eines teuren Labors an der Universität Mainz durch eine Stiftung im Nahbereich des Pharmakonzerns Boehringer. In den entsprechenden Verträgen ist die Universität Mainz auf die Forderung durch den Sponsor eingegangen, Studien und Untersuchungsergebnisse nur zu veröffentlichen, wenn die Sponsorenvertreter damit einverstanden sind.
Auf den Fall angesprochen, den ich aus den Medien kenne, führte Prof. Kreiß aus, dass er ihn persönlich aufgeworfen hatte und dass der Fall auch im ARD-Magazin Monitor behandelt wurde.
Hier der Bericht im genannten ARD-Magazin, in dem Prof. Kreiß tatsächlich eine bedeutende Rolle spielt:
(Auf das Bild klicken, um zum Bericht in der ARD-Mediathek zu gelangen)
Anschließend entspann sich eine rege Debatte mit zahlreichen Fragen und Statements aus dem Publikum. Unter anderem meldete sich auch Sanjay Kumar zu Wort, der im Studierendenparlament der Universität Bielefeld Referent für Ökologie ist und der extra nach Südtirol gereist ist, um Prof. Kreiß zu hören und um die Malser Anti-Pestizid-Initiative kennen zu lernen.
2 Kommentare zu „„Gekaufte Forschung unterminiert Zukunftsfähigkeit“ | Prof. Kreiß zu Gast in Schlanders“