Eduard Demetz schneidet ein paar Dinge an, die gesagt gehören | Über Sauerteig und Duldungsstarre

Ich hatte schon von der Rede von Eduard Demetz im Rahmen der Kulturnacht gehört. Nun habe ich sie in Facebook auf den Seiten von KulturForumCultura (und dann auch im Franz-Magazine) gefunden und übernehme sie gerne in meinen Blog.

Die Rede ist nicht grandios, aber bemerkenswert. Demetz hat die Chance des Mikros genutzt und ein paar Dinge angeschnitten, die gesagt gehören.

Das eigentlich bemerkenswerte an dieser Rede ist, dass wir (ich eingeschlossen) sie als bemerkenswert empfinden. Dabei wäre es doch das normalste der Welt, dass Kulturschaffende sich als gesellschaftlicher Sauerteig empfinden und der Gesellschaft nicht nur einen Spiegel vorhalten, sondern – gerade so wie sie es selber wollen – auch einen Zerrspiegel.

Ich kann nicht verhehlen, dass mir die Stimme der Südtiroler KünstlerInnenschaft im politischen und gesellschaftspolitischen Bereich in den letzten Jahren oft schmerzlich gefehlt hat. In der Frosch-Affäre schien sie mir nachgerade gelähmt und ich fürchte manchmal, dass manchem unserer eigentlich der Avantgarde zuzurechnenden Kulturträger das Mamma-Land-gesponserte Hemd lieber ist, als der künstlerische Rock.

Es ist nicht Aufgabe der Künstler, Politik zu machen. Aber sie sollten es auch nicht krampfhaft vermeiden…

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Hier die Rede von Eduard Demetz anlässlich der CULTURNACHT 7 am 5. November 2011 im Stadttheater Bozen

Sehr geehrtes Publikum, gerne habe ich die Einladung angenommen, hier in diesem Rahmen das Wort zu ergreifen. Meine Vorgängerinnen und Vorgänger in den letzten Jahren waren stets Personen aus Südtirol, die im Ausland leben. Bei mir ist das nicht der Fall: ich lebe und arbeite in Südtirol.

Vielleicht sind dem Veranstalter die Ausländer ausgegangen, ich meine die Auslands-Südtirolerinnen und Südtiroler, die die Erfahrung und den nötigen Abstand mitbringen, um Südtiroler Themen objektiv von außen zu betrachten. Es fährt mir ein Gedanke durch den Kopf: nämlich jener, hier an meiner Stelle nicht einen Auslandssüdtiroler, sondern einen wirklichen Ausländer zu sehen und zu hören.

Jemanden aus Senegal z.B., oder aus Ägypten oder Israel oder Indien oder den USA; eine Person, die nicht von hier nach außen gegangen ist, sondern umgekehrt von außen hierher gekommen ist. Ein zusätzlicher Aspekt würde sich in diesem Veranstaltungsrahmen und in diesem Land der XXLarge – Selbstbezogenheit auftun. Auf jeden Fall ist es mir eine Ehre und Freude, hier sprechen zu dürfen. Und weil ich ein Südtiroler bin, der in Südtirol lebt, werde ich nicht ausschließlich von MusikPunktLeben in Südtirol sprechen, das wäre wohl zu viel.

Es gibt keine starren Grenzen mehr. Weder politisch, noch geographisch noch kulturell. Man kann von Trapani bis nach Helsinki reisen, ohne sich jemals ausweisen zu müssen. Man kann von einem alpinen Gletschergipfel aus life die Übertragung der Konzertreihe der Londoner Proms mithören. Man kann mit einem gesampleten Türknarren genau so Musik machen wie mit einer Geige. Man darf alles dürfen.

Wir können selber entscheiden, ob wir eine offene Gesellschaft sein wollen oder nicht. Wir können den fortschrittlichsten Kulturbetrieb der Welt bauen, wenn wir wollen. Nichts steht uns im Wege, sei es was die Strukturen betrifft, was die finanziellen Möglichkeiten betrifft (trotz Krise), sei es was das organisatorische und fachliche Potenzial betrifft, und erst recht was unsere geographische Lage betrifft. Wir können einen Kulturbetrieb bauen, der nicht nur ein Produkt, sondern ein Prozess ist. Wenn wir wollen. Was Prozess ist, ist jetzt, ist Gegenwart, ist offensichtliche Begegnung oder feinstoffliche Veränderung, ist ein Urwaldvogel oder ein Seelenvogel.

Kunst, Musik und Literatur wollen wahrhaftig sein. Vielleicht ist dieser Anspruch sentimental, wenn man bedenkt dass das entfremdete Sein immer mehr in den Vordergrund rückt, dass es eine Welt ohne Markt nicht gibt, dass niemandem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, und dass der Satz „ Leben ist Theater und Theater ist Leben“ gerade für die Kulturszene doppelt gilt.

Die Idee eines besseren Lebens hat uns Menschen aber immer angetrieben. Und der daraus resultierende Kampf um die Überwindung von Grenzen und von Selbstbezogenheit ist eine Investition in Richtung Utopie.

Wenn wir uns allein das Segment des Bozner Musiklebens im vergangenen Sommer anschauen, dann können wir sagen, dass es leibt und lebt: die Busonikonzerte waren voll, die großen Orchesterkonzerte des Bozner Sommers waren voll, Transart war voll, das große Sommerkonzert des Haydnorchesters war voll. Und das Angebot ging vom klassischen Repertoirewerk bis hin zur Tuchfühlung mit dem neuesten Puls der Zeit.

Außerhalb der Landeshauptstadt war es nicht minder intensiv. So in Meran, Brixen, Toblach oder Gröden.

Das gute Gelingen treibt sogar verrückte Stilblüten, wenn man bedenkt, dass es in Toblach 2 Sommerfestivals gibt. In diesem eigenartigen Südtirol ist es leicht, in ein und demselben Dorf und in ein und demselben Sommer 2 Festivals zu machen, bei denen ein und derselbe inhaltliche Schwerpunkt auf dem Programm steht, während eine zweisprachige Schule hierzulande immer noch unmöglich ist.

Der Sprung vom Musikbetrieb zum Schulbetrieb ist gering. Beide sind Kultur, und beide müssen sich die Frage stellen, inwieweit sie Produkt oder Prozess sein wollen. Wenn Kultur als Prozess verstanden wird, dann ist eine zweisprachige Schule eine Selbstverständlichkeit.

Die Hautfarbe der Menschen bleibt unverändert, ebenso ihre Augenfarbe, ihre Stimme, ihr Gang, ihre Aussprache. Ihre Identität hingegen ändert sich ständig. Es ist in Südtirol naheliegend eine zweisprachige Schule zu imaginieren. Imagination ist subversiv, weil sie das Mögliche gegen das Reale stellt. Aufgabe der Kulturschaffenden ist es, zu imaginieren. Aufgabe der Kulturpolitik ist es, Imagination zu fördern.

Kultur zum Prozess werden zu lassen und die Grenzen der Selbstbeschau zu überwinden ist auch in den großen Zentren oft schwierig. Die Salzburger Festspiele hätten es letzten Sommer beinahe geschafft, eine Schranke zu öffnen: Jean Ziegler, berühmter Soziologe und Mitglied des beratenden Ausschusses im UNO- Menschenrechtsrat, wurde eingeladen, die Eröffnungsrede zu halten. Unter anderem steht in dieser Rede:

“Dem Welternährungsprogramm fehlt das Geld. Weil die reichen Geberländer viele tausend Milliarden Euro ihren einheimischen Banken-Halunken bezahlen mussten: zur Rettung der Spekulationsbanditen. Für die humanitäre Soforthilfe und die reguläre Entwicklungshilfe bleibt praktisch kein Geld. Viele der Schönen und Reichen, der Großbankiers und Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung. Wunder könnten in Salzburg geschehen: das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens. Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen. Gegen das eherne Gesetz der Kapital-Akkumulation sind selbst Beethoven und Hoffmansthal machtlos. Es wird der Tag, doch wann er wird, hängt ab von mein und deinem Tun. Drum wer mit uns noch nicht marschiert, der mach sich auf die Socken nun.“

Diese Worte wurden bei der Eröffnung der diesjährigen Salzburger Festspiele nicht gesprochen. Jean Ziegler wurde wegen seiner angeblichen Nähe zu Gaddafi rechtzeitig wieder ausgeladen. Zumindest für die Dauer der Rede wäre in Salzburg ein Kulturprodukt zum Kulturprozess geworden. Der Urwaldvogel und der Seelenvogel hätten über dem Festspielhaus Kreise gezogen und hätten sich gefreut.

Wie sieht es bei uns aus? Inwieweit ist hier Kultur nicht nur Produkt, sondern Prozess? Viel Neues und auch Gutes ist in den letzten 20 Jahren entstanden, und der wichtigste Prozess, der in Südtirol stattgefunden hat, war jener der Professionalisierung des Kulturbetriebes. In allen Kulturbereichen bietet Südtirol heute vielfach Professionalität und Qualität. Wir haben seit wenigen Jahren eine ganze Reihe von neuen Strukturen, und diese haben in einem tiefgreifenden Prozess dazu beigetragen, das Land zu verwandeln.

Der Bleifuß bleibt bei uns immer noch das Thema der Ethnien. Für das Publikum und für die Kulturtreibenden ist das Ethnische kaum mehr ein Thema. Für die Politik hingegen sehr wohl. Im Kleinen wie auch im Großen. Ein Beispiel im Kleinen: In diesem Jahr wurde ein schönes Projekt ins Leben gerufen: es heißt „Landesjugendchor Südtirol“. Das Debut-Konzert war vor wenigen Wochen in Brixen. Ein wahrer Wurf, dieser Landesjugendchor. 34 junge Sängerinnen und Sänger aus ganz Südtirol sangen mit Begeisterung und begeisterten ebenso das Publikum. Durch den Namen „Landesjugendchor“ stellten sie sich auch dem Auftrag, junger und zukunftsweisender musikalischer Botschafter Südtirols zu sein. Ganz im europäischen Geiste der Völkerverbindung sangen sie auf lateinisch, deutsch, englisch, ladinisch, schwedisch und im Südtiroler Dialekt. Doch dass ein derartiges Jugendprojekt, das per definitionem zukunftsweisend sein soll, alle Sprachen unseres Landes mit einbeziehen würde, das haben wir in Südtirol noch nicht geschafft.

Unter den 34 Mitgliedern dieses Chores befand sich kein einziger Italiener, und es wurde von diesem „Teillandesjugendchor“ selbstredend kein einziges Stück in italienischer Sprache gesungen. Auch hier im Kleinen eine verpasste Chance, die Kraft der Signalwirkung eines Jugend-Kulturprojektes zu nutzen und es zum Prozess werden zu lassen.

Doch das Glanzstück der Südtiroler Nabelbeschau und Selbstbezogenheit wurde vergangenen Dezember bei der Vertrauensabstimmung im Parlament zu Rom geliefert.

Der ehemalige italienische Kulturminister Sandro Bondi brauchte Unterstützung, um seinen Allerwertesten zu retten und damit die dahinsiechende Berlusconi- Regierung künstlich in die Länge zu ziehen.

Bondi, der den Fondo unico per lo spettacolo, die finanzielle Lebensader aller italienischen Opernhäuser dezimiert hat, der auf die Frage nach der Verantwortung über den Einsturz des Gladiatorenhauses von Pompei wortwörtlich gesagt hat: „ma non c’è una responsabilità precisa“, den Roberto Benigni Don Abbondi genannt hat, den Daniel Barenboim bei der Eröffnung der letzten Spielsaison an der Scala öffentlich angriff, während er den Taktstock in die Hand nahm, diesem Null- Minister haben die Südtiroler Abgeordneten bei der Vertrauensabstimmung im vergangenen Dezember geholfen, sich selbst plus Regierung zu retten. Das große Geschenk, das wir im Gegenzug bekamen, war die Erlaubnis, den Mussolini am Bozner Gerichtsplatz zuzubrettern.

Politische Kultur ist auch Teil der Kulturpolitik, und auch hier war die Nabelbeschau von größerer Bedeutung als ein Signal gegen den Stillstand der Regierung. Einer Regierung, die unter den Jugendlichen fast 30% Arbeitslose produziert hat. Chi se ne frega, betrifft ja nicht Südtirol. Einer Regierung, die die Schlaumeierei zum politischen Prinzip erhoben hat. Chi se ne frega, betrifft ja nicht uns Südtiroler. Einer Regierung, die aus einer gekauften Mehrheit besteht. Chi se ne frega, betrifft ja nicht Südtirol.

Ich wünsche mir, dass die Mitkandidatur Südtirols zur Europäischen Kulturregion Nord-Ost 2019 Erfolg haben wird. Denn wenn es gut geht, dann darf Südtirol Jahre lang mit Venedig und Triest eng zusammenarbeiten müssen. Und das würde unserem Land gut tun. Angesichts der großen Vernetzung und der internationalen Präsenz und Tragweite dieses Projekts würden dann wohl irgendwelche Bretter oder Kränze vor irgendwelchen Denkmälern an Wichtigkeit verlieren.

Vergangenen Sommer hatte ich die Gelegenheit, mit Giora Feidman zu plaudern. Feidman hat durch sein unermüdliches Völker – verbindendes Wirken wesentlich dazu beigetragen, Juden und Deutsche wieder zusammen zu führen. Auf die Frage hin, wie er es erlebe, als Botschafter der Völkerverständigung in Südtirol aufzutreten, einem Land, das 3 Sprachen spricht, gab er die kürzest mögliche Antwort. Er sagte: Jetzt sprecht ihr 3 Sprachen. In Zukunft sprecht ihr mehr.

Seelenvogel flieg! Denn: Wer hätte gedacht, dass die Berliner Mauer fallen würde? Wer hätte gedacht, dass die Ägypter Mubarak wegdemonstrieren würden? Wer hätte gedacht, dass in Bozen die zweisprachige Schule eingeführt würde? Wer hätte gedacht, dass wir keine Bretter mehr brauchen?

Ich danke für die Aufmerksamkeit (CUILTUR-NACHT, RAI Sender Bozen, 05.11.11)