Afrika: Spekulation mit dem Hunger | Jean Ziegler in der Gewerkschaftszeitung „Work“

(von Jean Ziegler, erschienen in: Work, die Zeitung der Gewerkschaft, 18.3.2010)

MIT DEM HUNGER. Rodolfo Reyes Rodríguez trägt eine Beinprothese. Sein Bein verlor er am 23. März 1988 in der Schlacht von Cuito Cuanavale, einem Dorf in Südangola. 15000 kubanische Soldaten zerschlugen an diesem Tag das hoch gerüstete südafrikanische Expeditionskorps. Die militärische Vormacht des Apartheidregimes war damit gebrochen. Südafrika verliess Angola. Kurz darauf wurde auch Namibia frei. 1992 mussten die Rassisten Nelson Mandela freilassen. 1994 stürzte endlich ihre Diktatur.

LANDRAUB. Heute ist Rodolfo Reyes kubanischer Botschafter bei der Uno in Genf. Am Dienstag, dem 16. März, trat er im Völkerbundspalast wieder zur Verteidigung der schwarzafrikanischen Bauern an.

Es ging um die Ausarbeitung einer Völkerrechtskonvention zum Schutz der Rechte der Bauern. Mit derselben unbändigen Energie, Klugheit und Überzeugungskraft, mit der der junge Soldat Reyes vor dreissig Jahren in der Savanne gegen die südafrikanischen Panzer gekämpft hatte, kämpfte jetzt der Botschafter Reyes gegen den Landraub westlicher Hedge-Funds in Afrika. 2009 kauften private Hedge-Funds oder spekulative Staatsfonds über 20 Millionen Hektaren fruchtbaren Ackerlandes im Süden der Sahara. Cargill besitzt jetzt 600 000 Hektaren in Äthiopien, Jarch Capital 400 000 Hektaren im Sudan. Der Waadtländer Konzern Addax Bioenergy erwarb soeben 20 000 Hektaren in Sierra Leone, dem zweitärmsten Land der Welt. Dort will er riesige Zuckerrohrplantagen anlegen, um Bioethanol zu produzieren. Auf dem enteigneten Land leben bis anhin Tausende kleiner Reisbauern mit ihren Familien. Sie werden vertrieben und enden in den elenden Slums der Hauptstadt Freetown. Kinderprostitution, Unterernährung, Zerstörung der Familien, permanente Arbeitslosigkeit sind ihre Zukunft.

WAS TUT DIE SCHWEIZ? Der Landraub in Afrika wird konsequent unterstützt von der Weltbank und den meisten westlichen Regierungen. Ihre Rechtfertigung: Es stimme zwar, dass fast ein Drittel aller Menschen Schwarzafrikas unterernährt seien. Aber die Produktivität der afrikanischen Bauern ist sehr gering. Auf einer Hektare ernten sie im Sahel ungefähr 600 bis 700 Kilo Getreide. Dagegen ernten die europäischen Bauern auf der gleichen Fläche durchschnittlich knapp 5 Tonnen. Also sei es besser, man enteigne diese Hungerleider und gebe ein wenig Geld an ihren Staat. Ein paar der verjagten Bauern könnten zudem als Taglöhner bei Addax arbeiten. Der versprochene Addax-Lohn ist 2 Franken pro Tag. Die Argumentation ist mörderisch: Statt für mehr Produktivität in der Landwirtschaft zu sorgen, wird den Bauern das Land weggekauft. Mit der Folge, dass die Zahl der Hungernden und Unterernährten weiter massiv steigen wird.

Was tut die Schweiz? Nichts. Unter dem bestimmenden Einfluss des Staatssekretariats für Wirtschaft weigerte sie sich, im Menschenrechtsrat die Konvention zum Schutz der afrikanischen Bauern zu unterstützen.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf deutsch im Herbst 2009.